Die Loft School – Unterricht im Grossraumbüro
Donnerstagmorgen 9.00 Uhr. Wir treffen Valentin Böhm, Abteilungsleiter Wirtschaft an der Berufsfachschule Uster, bei den drei grossen Buchstaben «BZU» am Eingang des Hauptgebäudes. Auf dem Spaziergang zur Loft School, welche sich im 1. Stock eines Bürogebäudes in unmittelbarer Nähe der BFSU befindet, erzählt er uns, wie die Loft School entstanden ist: Aus Platznot, dank eines glücklichen Zufalls, unter Zeitdruck und mit kompetenten Partnern.
Dann sind wir da. In der Loft School empfangen uns eine freundliche, entspannte Atmosphäre und warme, einladende Farben. Wir fühlen uns sofort wohl. Während wir auf dem Weg zum Lehrerzimmer die ganze Lernlandschaft durchqueren, eröffnen sich uns hinter mobilen Trennwänden, Pflanzenelementen und Vorhängen immerzu neue Lernräume mit verschiedenen Klassenzonen. Auf Sitzsäcken, an verschiedenartigen Tisch-Settings und Sitzelementen arbeiten Lernende in kleinen Gruppen oder auch alleine. Insgesamt haben jeweils um die 100 Lernende gleichzeitig in der Loft-Schule Unterricht.
Strikte Vorgaben begünstigen flexible Lernsettings
In der Umgestaltung der Loft vom Grossraumbüro zum Lernort Schule gab es strikte Vorgaben vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt einzuhalten. Es durften keine baulichen Veränderungen vorgenommen werden, d.h., das Einziehen von Zwischenwänden war nicht erlaubt. Alle Elemente mussten somit mobil sein. Gerade dieser Einschränkung ist es aber zu verdanken, dass die Umnutzung kostengünstig und in so kurzer Zeit realisiert werden konnte. Des Weiteren bieten die mobilen Elemente unzählige Möglichkeiten, um die Lernräume und Settings vorzu einfach und schnell an die Bedürfnisse von Lehrpersonen und Lernenden anzupassen.
Nach einem Jahr zeigt sich, dass das Aufbrechen der traditionellen Schulräume für die Lernenden eine stressfreiere Schule geschaffen und Lehrpersonen den Einstieg in die neue Reform erleichtert hat: Die offene Raumgestaltung lässt nämlich gar keinen klassischen Frontalunterricht mehr zu, weil die vortragenden Lehrpersonen sich gegenseitig stören würden. So entsteht auf natürliche Art und Weise eine Lernwelt, in der die Lernenden selbstorganisiert (SOL) unterwegs sind.
Im kompetenzorientierten Unterricht angekommen
Heute herrscht in der kaufmännischen Berufsfachschule an der BFS Uster eine neue Normalität. Dies ist das Resultat eines langen Transformationsprozesses, welcher bereits 2019 begonnen hat. Die Schulleitung hat sich der Reform und dem neuen Bildungsplan Kaufleute 2023 bereits sehr früh angenommen. Zudem wurde damals in der Fachschaft Wirtschaft bereits ein neues Unterrichtskonzept mit sogenannten HIP-Modulen entwickelt, spezielle Unterrichtseinheiten für handlungskompetenzorientiertes, interdisziplinäres und problembasiertes Lernen, (s. Blogbeitrag «Handlungskompetenzorientierter Unterricht an der BFS Uster»). Dadurch hat die Lehrerschaft schon vor der Umstellung begonnen, eng zusammenzuarbeiten, und es konnte mit wertvollen Erfahrungen in die Reform gestartet werden.
Seit Sommer 2023 wächst die neue Unterrichts-Normalität organisch. Vorgaben hat die Schulleitung den Lehrpersonen im Vorfeld keine gemacht, diese aber jederzeit nach Bedarf eng begleitet. Nach den ersten Unterrichtserfahrungen sind dann schrittweise notwendige Anpassungen vorgenommen worden, Learning by Doing. Dabei wurden sie zusätzlich von der PH Zürich sowie weiteren Partnern unterstützt, denn Wandel muss gestaltet werden und die Lehrpersonen müssen die benötigte Begleitung für die neuen Lehr- und Lernformen erfahren.
Ebenso werden die Feedbacks der Lernenden aktiv in die Unterrichtsgestaltung und Nutzung der neuen Lernlandschaft einbezogen. So wird beispielsweise ein Gruppenraum, welcher ursprünglich als Rückzugsort für ruhiges Arbeiten angedacht war, von den Lernenden nun für lautere oder persönliche Gespräche genutzt.
Nach einer ersten Ankommensphase fühlen sich die Lernenden nun sehr wohl in der Loft School, wo sie es schätzen, die jeweiligen Unterrichtssettings aktiv mitgestalten zu können. Die offene Raumsituation erfordert es, dass sie sich ähnlich verhalten wie in Grossraumbüros ihrer Lehrbetriebe. Der Wechsel von den klassischen Fächern, wie sie ihn aus der Sekundarschule kennen, in die Handelskompetenzen fiel ihnen dank einer entsprechenden didaktischen Begleitung relativ leicht. Der Lernstoff ist nun anwendungsorientiert gebündelt und liegt thematisch nahe an der Berufspraxis in den Lehrbetrieben.
Das Einzige, was ihnen noch etwas Mühe bereitet, ist die Zuordnung der Lehrpersonen und Lerninhalte zu den HKBs. Die Unterteilung des Lernstoffs sowie die Bezeichnungen der HKBs A bis E sind für sie noch immer eher abstrakt.
Arbeiten mit der LERN:GALAXIE
An der Berufsfachschule Uster arbeiten die Lehrpersonen in allen HKBs mit der LERN:GALAXIE. Die Lehrpersonen binden die Links zu den Lerneinheiten in ihrem Moodle ein und stellen diese so ihren Lernenden situationsgerecht zur Verfügung. Wie vor der Reform können die Lehrpersonen ihren Unterricht mit eigenen oder weiteren zusätzlichen Materialen ergänzen.
An der LERN:GALAXIE gefällt ihnen sehr, dass sowohl das Lernmedium wie auch die Lerninhalte gemäss den Vorgaben der Reform von Grund auf neu konzipiert wurden und nicht einfach alte Inhalte in ein neues Gefäss abgefüllt wurden. Sie sind flexibel und vielseitig einsetzbar; zudem sind alle HKBs abgedeckt.
Während unseres Besuchs stehen HKB C und HKB E auf dem Stundenplan. Die Lernenden sind mitten in der Vorbereitung eines Anlasses, welchen sie nicht nur theoretisch planen, sondern auch praktisch in den Räumlichkeiten der Loft School umsetzen werden: In einzelnen Grüppchen arbeiten sie wahlweise an der Anlassorganisation, Budgetierung, Menüplanung, Einkaufsvorbereitung oder lernen Serienmailings. Die Räumlichkeiten unterstützen das Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Lernsituationen. Die digitalen Inhalte unterstützen das selbstständige und selbstorganisierte Lernen.
Agile laufende Entwicklung
In Lernzonen mit eher klassischem Schulzimmersetting erhalten Lernende kurze Themeninputs. Danach eignen sie sich die Grundlagen mithilfe der LERN:GALAXIE und eigens erstellten Video-Tutorials selbst an. Der Wechsel der Lehrpersonen ins Coaching ergab sich mit der Reform, den neuen räumlichen Herausforderungen und der LERN:GALAXIE als neuartigem Lernmedium ganz natürlich. Ihre Coaching-Rolle deckt dabei teilweise sogar Themen, welche über die fachlichen Inhalte hinausgehen, ab.
Die Lehrpersonen geben im Lernprozess ganz im Sinn der Reform Verantwortung an ihre Lernenden ab: Diese lernen nicht nur von der Lehrperson, sondern auch voneinander. Mit der Zeit können sie meist selbst einschätzen, ob sie für ein Lernziel genug getan haben oder nicht. Regelmässige Reflexions- und Feedbackaktivitäten sowie die Einschätzung durch die Lehrperson helfen ihnen, mit der neuen Freiheit von selbstorganisiertem Lernen und selbständigem Arbeiten zurechtzukommen.
Mit der Planung des zweiten Schuljahrs ist die Schulleitung noch einen Schritt weitergegangen: Der neue Stundenplan wird nämlich Unterrichtsklassen mit gleichen Lerninhalten zeitlich zusammenbringen. Dies soll das dynamische und agile Lernen und den Austausch der Lehrpersonen untereinander noch weiter begünstigen. Klassenverbunde können dadurch noch mehr aufbrechen und Lerngruppen sich durchmischen. Immer wieder kommt es schon jetzt in der Loft School vor, dass Lernende spontan einem Fachinput einer anderen Klasse folgen, um ein noch unklares Thema zu vertiefen.
Die neue Unterrichtsdidaktik erfordert von den Lehrpersonen zwar eine inhaltliche und organisatorische Absprache, entlastet und bereichert sie aber vor allem. In einer offenen Lernumgebung schwinden die Grenzen nämlich nicht nur für die Lernenden, sondern auch für die Lehrpersonen, die ebenso voneinander lernen und profitieren, wie es die Lernenden nun untereinander tun.
Usters Erfolgsfaktoren
Das erste Schuljahr hat gezeigt, dass es für ein produktives Arbeiten in der offenen Lernlandschaft einige wenige verbindliche Regeln braucht. Diese wurden bedürfnisbasiert aufgrund der realen Erfahrungen von der Lehrerschaft eingeführt. Auch hat man gesehen, dass gewisse Anpassungen im Stundenplan zu weiteren positiven Synergieeffekten führen könnten. Die Räumlichkeiten der Loft School haben den Wechsel in den handlungskompetenzorientierten Unterricht sicherlich positiv unterstützt – in der klassischen Korridorschule ist dieser aber genauso möglich. Gemäss der Schulleitung liegt das A und O in offenen, interessierten und kompetenten Lehrpersonen.
In Uster ist man sich einig: es gibt drei Pädagogen. Der erste ist die Lehrperson, der zweite das Lehrmittel und der dritte der Raum.
Unser Fazit
Als wir die Loft School verlassen, sind wir uns einig: Hier würden wir alle auch gerne wieder zur Schule gehen! Selbstorganisiertes, anwendungsorientiertes, aktives Lernen und Arbeiten motiviert und macht Spass. Es hat uns sehr gefreut zu sehen, mit wie viel Engagement und Herzblut hier alle Beteiligten Hand in Hand eine inspirierende und zukunftsgerichtete Lernlandschaft erschaffen haben.